WISSEN

Vieles von dem, was wir heute wissen oder nutzen, kam aus dem Orient. Bei diesen Einflüssen war die arabische Welt teilweise der Ursprung, teilweise ein Übermittler von Kenntnissen aus anderen Kulturkreisen. Die arabische Sprache war einst im Nahen Osten die Gelehrtensprache, in der auch das Wissen der europäischen Antike festgehalten wurde. Mit der Ausbreitung des Islam gelangte dieses Wissen bis nach Andalusien und damit nach Europa. Wir stellen hier zusammengefasst einige Beispiele dieses Wissenstransfers vor.

Astronomie

Mit Himmelsphänomenen haben sich die Menschen in allen Kulturkreisen und zu allen Zeiten befasst. Im alten Ägypten reichen schriftliche Aufzeichnungen bis ins 3. Jahrtausend vor Beginn unserer Zeitrechnung zurück. Das auf Tontafeln der Babylonier festgehaltene Wissen über Himmelszyklen war erstaunlich genau. Übersetzer im von Arabern beherrschten Andalusien machten Wissen der Griechen in Europa zugänglich. Viele Sternnamen sind von arabischen Bezeichnungen abgeleitet.

Baumwolle

Der Siegeszug der Baumwollpflanze begann wohl in Indien. Sie gelangte im zweiten Jahrtausend vor Beginn unserer Zeitrechnung nach Mesopotamien und Ägypten, wie Grabfunde beweisen. Im 8.Jahrhundert führten arabische Händler den Baumwollanbau in Spanien und auf Sizilien ein.

Chemie

Der um 800 in Kufa am Euphrat lebende Jabir ibn al-Hayyān gilt für viele als „Vater der Chemie“. Ihm beziehungsweise seiner Schule werden unzählige Bücher zugeschrieben, in denen wichtige Grundlagen für die heutige Experimentalchemie geschaffen wurden. Auf ihnen bauten die Alchemisten des europäischen Mittelalters auf.

Gewürze

Arabische Zwischenhändler brachten dank ihrer entwickelten nautischen Kenntnisse und der Domestizierung des Kamels als Lasttiere auf den Karawanenstraßen eine Vielzahl neuer Gewürze von Ostasien zum Mittelmeerraum. Diese gelangten dann meist von Venedig über die Alpen. Bei dieser Frühform einer globalen Lieferkette spielte der arabische Raum eine Schlüsselrolle als Umschlagplatz. Manche Gewürze wurden anfangs als Heilmittel in Apotheken verkauft, sie veränderten aber schließlich die Speisegewohnheiten in Europa bis zur Gegenwart nachhaltig.

Kaffee

Botaniker ordnen die Heimat der Kaffeepflanze Äthiopien zu. Die Pflanze gelangte aber möglicherweise bereits im 6. Jh. über das Rote Meer auf die Arabische Halbinsel. In den feuchten westlichen Gebirgslagen des heutigen Jemen wurde der Kaffee dann erstmals systematisch kultiviert. Die Küstenstadt Mokha wurde zum ersten Exporthafen. Ab Ende des 17. Jahrhunderts  wurden Kaffeehäuser in Europa zu Orten des Informationsaustauschs. Kaffeepflanzen gelangten schließlich in viele Kolonialgebiete und veränderten dort die Landwirtschaft.

Literatur

Der Orient hinterließ viele Spuren in der deutschen Literatur. Seit dem 18. Jahrhundert gab es einen Schub an Übersetzungen arabischer Texte. Insbesondere die Vertreter der Romantik entdeckten das Morgenland. Die Verbreitung der Erzählungen aus „1001 Nacht“, die ihren Ursprung eigentlich im indischen Kulturraum hatten, beflügelte eine regelrechte Orientbegeisterung. Das Erfolgsrezept war die Botschaft vom Happy-End, nach dem sich das lesende Publikum sehnte.

Mathematik

Auf dem Umweg über die Araber hielt auch das Wissen der griechischen Theoretiker wie Pythagoras, Thales, Euklid und Platon Einzug in Europa. Das Wort Algebra lehnt sich an den arabischen Begriff „al-jabr“ an. Das von dem in Zentralasien geborenen Gelehrten Musa Al-Khwarizmi um das Jahr 830 in Bagdad auf Arabisch veröffentlichte Buch „Über die Rechenverfahren durch Ergänzen und Ausgleichen“ schuf ein nachvollziehbares mathematisches Werkzeug. Die bildhaften Darstellungen mathematischer Probleme führten zur Entwicklung der Geometrie.

Medizin

Der Arztberuf wurde erstmals im Gesetzeskodex des Hammurapi im 18. Jh. vor Beginn unserer Zeitrechnung in Mesopotamien erwähnt. Die alten Ägypter und Griechen wie Aesculap oder Hippokrates brachten neue Erkenntnisse. Während des europäischen Mittelalters wurden Krankheiten nach Vorstellungen des Klerus behandelt, im Orient kamen dagegen weit fortschrittlichere Therapien zum Einsatz. Der arabische Arzt Abu al-Qasim al-Zahrawi in Cordoba kombinierte die arabischen und griechischen Lehren und führte chirurgische Instrumente ein. Seine Sammlung medizinischen Wissens und andere arabische Werke prägten die europäische Medizin bis zur Renaissance.

Musik

Urformen vieler Musikinstrumente stammen aus dem Vorderen Orient. Dazu zählen Harfe, Leier und Trommel, die im 3. Jahrtausend vor Beginn unserer Zeitrechnung in Mesopotamien auftauchten. Laute, Becken, Trompete und Doppelrohrblattpfeife wurden im 2. Jahrtausend vor Beginn unserer Zeitrechnung in Ägypten genutzt. Forscher glauben, dass einige Instrumente von Kreuzfahrern bei der Rückkehr in die Heimat mitgebracht wurden. Viele der Urformen werden heute noch im arabischen Raum benutzt.

Optik

Während die Wissenschaftler des griechischen Altertums glaubten, dass Licht durch Sehstrahlen aus dem Auge wahrgenommen wird, erkannte Ibn Al-Haytham (Alhazen) das Prinzip der Linsen. Er starb um 1040 in Kairo und wird heute wegen seiner Erfindungen zum Strahlengang des Lichts als „Vater der Optik“ bezeichnet.

Papier

Als Erfinder der Papierherstellung gelten die Chinesen. Die Araber übernahmen die Technik: Um 795 begann in Bagdad die Papierherstellung, und auf dem Umweg der maurischen Herrschaft gelangte sie nach Andalusien und damit erstmals nach Europa. Die erste Papiermühle nördlich der Alpen richtete dann Ulman Stromer 1390 in der Hadermühle (Hadern = Lumpen) in Nürnberg ein. Das billige Papier löste das Pergament aus Tierhäuten ab und gab – zusammen mit Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks – der Verbreitung von Wissen einen enormen Schub. Auch die Reformation hätte sich ohne die Verbreitung von auf Papier gedruckten Texten kaum durchsetzen können.

Religion

Drei der großen Weltreligionen haben ihren Ursprung im Nahen Osten: Judentum, Christentum und Islam. Von 6,9 Milliarden Weltbewohnern sind nach dem Stand von 2010 rund 32 Prozent Christen, 23 Prozent Muslime und 0,2 Prozent Juden. Allen drei Religionen ist die Verehrung nur eines Gottes gemeinsam. Den Gründern und Propheten aller drei Religionen ging es zugleich um eine „bessere“, gerechtere Gesellschaft.

Sprache

Arabisch war die Sprache der Gelehrten, in der im Mittelalter Wissen auch aus anderen Kulturkreisen gesammelt wurde. Bagdad und das arabische Andalusien waren einst Zentren dafür. Spuren des Arabischen findet man heute noch in der deutschen Sprache – als sogenannte Arabismen. Der Bogen reicht von Kaffee über Zucker und Tasse über Sofa und Matratze bis zu Ziffer und sogar Alkohol. Solche Bezeichnungen deuten auf den Ursprung der Dinge hin.

Windmühlen

Nach Hinweisen im Gesetzbuch des Königs Hammurapi ist anzunehmen, dass es die ersten Windmühlen zur Energiegewinnung um 1750 v. Chr. in Babylon gab. Arabischsprachige Geographen berichteten im 9. Jahrhundert aus dem heutigen Iran von Windmühlen. Die Araber brachten die Kenntnisse schließlich nach Andalusien.

Ziffern

Fast revolutionär war der Ersatz lateinischer Buchstaben durch das Dezimalsystem aus dem Orient. Ursprünglich waren es indische Ziffern, die sich zuerst im arabischen Osten und dann in Nordafrika und in Andalusien und von dort rasant weiter verbreiteten. Eine wichtige Rolle spielte dabei der genannte Mathematiker Musa al-Khwarizmi in Bagdad um 825 mit seiner arabischen Schrift „Über das Rechnen mit indischen Ziffern.“ Unter den neuen Ziffern befand sich erstmals die Null. Theologen hatten es anfangs schwer, dieses „Nichts“ in ihr Weltbild einzuordnen: Für viele war es eine verrufene Zahl.